Dienstag, 27. November 2007

Helios und ich - Italien III



Die Sonne brannte mir fast, durch die Optik meiner Flaschenböden, ein Brandmahl auf die Iris. Ja, Vater Helios mit seinem brennenden Wagen hat sich hier in Norditalien noch einmal zeigen wollen, bevor er das Land in die eisige Dunkelheit legen wird. Wohlige Sonnenstrahlen kitzelten mein Nackenhaar in der kalten Maschinenhalle. Diese Halle, welche im Moment eher eine grössere Baustelle, jedoch noch ohne Heizung, Isolation, Fenster und Wände ist. Eine mehr bessere Höhle. (Nur soll das Feuermachen und jagen verboten sein...)


In den letzten Morgen war das Aufstehen besonders schlimm, zumal im Hinterkopf das schwarze Post-It, alias die eisige Halle, prangte. Doch heute war sie nicht eisig, nur etwas frostig und später ganze 15 Grad warm. Eine richtige Wohltat für das Rheuma und den eingefangenen Hexenschuss.

Langsam aber sicher muss ich mir überlegen, ob ich doch auf eines dieser zwielichtigen Dorfbote- Inserate eingehen und an einer dort ausgeschriebenen Kaffeefahrt teilnehmen soll. So werden doch am Schluss den Reisenden gerüchtemässig Othopädischestrumpfhosen und eben diese sagenumwobenen Rheumadecken angedreht. Vielleicht würden mir diese Dinger etwas gegen die Frostgebrechen helfen. Beide: Decken und Strumpfhosen.


Fertig gejammert, nun wird gelobt: Die Italiener sind wahre Meisterköche. Belle- Bocuse der hinterländlichen Provinz der Poebene und vegetativen Alpenlandschaft. Ein wahrer Genuss der Sinne, Balsam für die Seele und übelstes Gift für meinen Bodymassindex (für Kenner: BMI) Und da purzeln sie, die Pünktchen! Eine kleines Geheimnis: Sie rollen schlimmer als damals in Amerika.

Die tolle Polenta (stundenlang von der übergewichtigen Nonna über dem Kaminfeuer gebraut) mit einem feinen Kaninchenragout oder die hauchdünnen Pizzas in allen Variationen (liebe Kinder: Ja, sogar mit Pommes gibt’s Pizzas) sind wahre Geschenke für einen Tag, der eigentlich kein Geburtstag ist. Am liebsten habe ich aber die hausgemachten Teigwaren an einer dezenten Safransauce mit frischen Steinpilzen. Eine himmlische Sonate für den geölten Gaumen.


Am Abend bemühe ich mich jeweils etwas im Harry Potter Nummer Sieben weiter zu kommen. Langsam neigen sich auch dort die Seiten zusammen mit der Geschichte einem Ende zu. Schlafen kann ich in dem granitharten Bett dank dem Rotwein etwas besser. Leider bleibt das Hotel sehr ringhörig und meine momentaner Zimmernachbar ein „Frühstücksfernseh- Gucker“. Frühstücksfernsehen gibt’s bereits ab 5.30Uhr durch die Papiermaché- Wand zu hören. Ich sollte es eigentlich langsam wissen: Reisen im In- und Ausland nur noch mit einer Handvoll Oropax.



Am Anfang isch es Wort xi



Irgendeinisch... wird niemer meh öppis säge!
Ig weis es, alli wärde singe!
Wörter si uf d’Ärde abegheit wie Räge,
Und us üsne Müler wärde tollschti Tön erklinge.


Irgendeinisch... wird alles xeit si, wo het müesse si,
Stilli wird sich uf dr Wält usbreite,
Und wüeschti Wörter hät me besser ganz lasi,
D’Rueh cha meh nüm us ihrne Fuege leite.


Irgendeinisch... wärde d’Vögel mit de Mönsche zäme töne,
Hass wird nume no dür D-Dur witergä.
Die ganzi Seel lat sich mit Liebeslieder la verwöhne,
Es isch es einzigs gäh und näh.


Irgendeinisch... wird ou das Stück sich zum Ändi neige,
Dr letschti Ton isch denn verbii,
Nidemau dr schönschti Klang darf sich vor beschte Site zeige,
Was när chunnt wird nieme si, wies mal isch xi.


Mittwoch, 21. November 2007

Geschichte und ich - Italien II



Der Wandel der Welt kann einfach nicht aufgehalten werden. Was einmal war, ist heute vergessen. Gegenwart wurde Vergangenheit, Vergangenheit wurde Geschichte und Geschichte wurde Legende...

Die erste Schneeflocke, welche ich in Italien gespürt habe, ist mir heute direkt auf den kalten Nasenspitz geflogen. Eigentlich hätte ich die Flocke gar nicht bemerkt, da die Nase durch die Kälte gefühllos geworden war. Ich habe das weisse, glitzernde Ding nur wahrgenommen, weil ich es gesehen habe. Zwischen meinen Augen schwebte es. Die Landung auf der Nase habe ich mir danach nur denken können.

Wie vergänglich ist doch dieser filigrane Kristall. Kaum auf der Erde angekommen schon wieder mit der Ewigkeit verschmolzen.

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Die Norditaliener sind nicht zufrieden mit dem Wetter, mit der Kälte und den tiefen Temperaturen. In der Schweiz sprechen viele von einer „meteorologischen Normalisierung“ weil endlich wieder Mitte November die schimmernde Pracht auf dem Lande liegt. Viele loben in den Medien den „Ökoboom“, denn er hat ja sichtlich Früchte getragen. Was will der Schweizer mehr, als endlich wieder eine weisse Weihnacht zur Weihnacht? Nichts.

Aus meiner Sicht ein zu frühes Urteil. Eine voreilige Begrabung des Kriegbeils gegen die Umweltverschmutzung. Wie sieht es nächstes Jahr aus, in zehn Jahren oder in hundert? Wir werden uns selber zu Grabe tragen, das steht fest. Die Warnungen der Erde, sind so deutlich, die dürfen doch nicht ignoriert werden!

Vierhundertfünfzig Kilometer von Bern entfernt ist das gleiche Szenario im Gange wie in der Schweiz in den letzten Jahren. Zu wenig Niederschläge hat es zwischen Mailand und Venedig in letzter Zeit gegeben. In Venedig steigt der Wasserspiegel aber ununterbrochen. Zum einen ist in den vergangenen hundert Jahren der Wasserspiegel in der Adria um etwa acht Zentimeter angestiegen. Ursache dafür ist die Erwärmung der Atmosphäre, die zur Erhöhung der Wassertemperatur und damit zur Ausdehnung der Meere führte. (Zum anderen ist die Stadt in der Lagune in den letzten Jahrzehnten schneller abgesunken als in den Jahrhunderten davor, und auch daran sind die Menschen schuld.)

Die Trockenheit hat zu Ernteausfällen geführt, Wein- und Gemüsebauern leben hier am Existenzminimum. Die Lebenslage wird nicht besser... Und nun kommt noch diese frühe Kältewelle herangezogen. In Norditalien ist Schneefall erst Mitte Januar gewöhnlich. Hier stimmt überhaupt nichts mehr. Der „Ökotrend“ hat hier, bis jetzt, überhaupt nichts gebracht.

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Ich möchte wissen, wie diese Phase der menschlichen Selbsteliminierung in zweihundert Jahren in den Geschichtsbücher stehen wird. Oder vielleicht gerät dieses schwarze Kapitel der Erdbevölkerung sogar in Vergessenheit. Vergangenheit wurde Geschichte. Geschichte wurde vergessen und verdrängt...



Freitag, 16. November 2007

Versace und ich - Italien I





Die Zugfahrt mit dem Cisalpino nach Milano war für mich schon ein richtiges Erlebnis. Dabei bin ich ja eigentlich ein geübter Zugfahrer.

Aber nun von vorne: Ich reiste heute nach Brescia ab, via Thun und Milano, wo ich mehrere Wochen arbeiten werde. Das Weekend verbringe ich aber jeweils zuhause. Die letzten Tage habe ich unter Stress, viel Arbeit, wenig Schlaf und massivem „tout-de-suite“ gelitten, da versteht dann auch jeder, warum ich in Thun in den Cisalpino gestiegen und erst wieder in Domodossola aufgewacht bin. Geweckt durch drei uniformierte Männer in hässlichem Grün, welche in gebrochenem Italienisch in einem Chor zu mir bellten: „Eh, Identificatione!“ Ein anderer knurrte darauf: “Mit däm chasch Dütsch rede, dä list ja ou dr Potter uf Dütsch...“ Ich ganz schlaftrunken begrüsste die Zollbeamten zuerst mal mit einem verwirrten „bonjour“. Mein Sprachhirn, immer noch auf Französisch eingestellt, war irgendwie noch nicht auf einen ersten Italo- Kontakt vorbereitet. Dann wechselte auch ich auf Deutsch. Die spätere Konversation mit den Beamten war aber sehr amüsant und verkürzte die Fahrt um ganze 30 Minuten. Als ich ihnen erzählt hatte, warum ich nach Brescia gehe, wollten sie unbedingt mehr wissen. Bis alle in meinem Abteil abgesessen waren und eifrig über Fussball diskutierten. (Leider konnte ich da kaum noch mitreden. Egal.)

Wieder von den grünen Männern verlassen, fühlte ich mich genug ausgeruht, um mich wieder an den letzten Teil des legendären Harry Potters zu machen. Doch nun war mein Wagen voller Italiener. Nebst dem penetranten Gemisch von Parfum und Rasierwasser war die Luft voller Klingeltöne schriller Handys und lautem exzentrischem Getratsche. Guetnachtamsächsi.
(Hinter mir hat sogar ein älterer Mann, wie klischeehaft, eine italienische Oper in voller Lautstärke gehört. Fiiiigarooooo, Fiiiigaroooooo, Figarofigarofigarofiiiiiigaroooo...usw.)

In Brescia liegt momentan noch kein Schnee trotz der eisigen Kälte. Blauer Himmel muss ja auch nicht immer wohlige Wärme bedeuten. Zum Glück habe ich den Faserpelz bereits in der Schweiz anziehen müssen.

Mein Hotel ist ja wohl der Oberwahn. Es liegt etwas oberhalb von Brescia, mit direkter Sicht auf den Gardasee. Mein Zimmer hat einen Balkon (auch mit direkter Sicht auf den Gardasee!) und eine Tausenddüsen-Dusche mit Regenwaldsimulation. (Dafür aber nur eine stinknormale Telefonleitung, welche ich für das Internet brauchen könnte.) Das Zimmer ist zwar recht rustikal, das Bett ist aber nach der guten alten Versace-Manier in Raubtiermuster gehüllt. Werde ich dort nun wilde Wildkatzen Träume haben? Wir werden es sehen...

Samstag, 10. November 2007

Warteschlange





Mi Tag isch ds churz. Zweni Zyt für viu z'viu Läbe.
Ig müest irgendwie dere Uhr entschwäbe.
Doch das klappet nid. Nid hüt, nid morn.
Blockiert bi ig, wie ds Rösli und si Dorn.
Dornrösli het Zyt nid brucht. Nid denn.
Aber ig bruche se. Hüt. Nid morn. Aber wenn?
Ig gloube, ig stah irgendwie ire Warteschlange.
Eini wo nie ändet... I has satt, im Zytloch ume z' hange.

(Geschrieben nachdem ich am 10.11.07 schon wieder einen Termin doppelt verplant hatte.)

Montag, 5. November 2007

Das Ende des Tunnels





Das Ende des Tunnels

Ein Fazit muss her, nach dieser Reise.
Wenn Fazit ziehen: Auf welche Weise?
Nicht wie ne Wurzel, nicht wie ein Zahn,
ich studiere danach, es ist ein Wahn.
Um Fazite zu ziehen, welche was taugen,
muss ich kräftig an den Fingern saugen.
Soll ich nun sagen, die Amis sind dumm?
Nein, da bleib ich am Ende lieber stumm.
Solche Folgerungen sind nicht fair
und verletzten den Menschen immer sehr.
Bequem und dick, das würde stimmen,
doch kann ich dies nicht auf alle trimmen.
So bleib ich am besten beim Finger saugen,
bleibe bei Faziten, welche nichts taugen.
Dann kann ich mit dem Land in Frieden leben,
muss nicht erneut nach Versöhnung streben.
Der Schluss daraus ist mehr als recht,
Amerika ist am Ende nur halb so schlecht.


(Geschrieben in der Schweiz; 05.11.07)


Letzter Newsletter aus Amerika




Nun, das Leben nahm so seinen Lauf und verfrachtete mich in einer Blitzgeschwindigkeit wieder zurück in die Schweiz. Kanton Bern. Landschaftlich und Landwirtschaftlich: Wichtrach.

Liebe Leserin, lieber Leser, Ihr habt schon lange nichts mehr von mir gehört. Das tut mir Leid und dass es mir Leid tut, das kam so:

Freaky Friday heisst das Zauberwort des Vorfreitages vor Halloween. Die Sage rund um Jack o’ Lantern, welcher auf der Erde als untote Seele wandern muss bis er alle seine Laster abgelegt hat, belegt, dass der letzte Freitag vor Halloween ein Pechstag ist. Analog Freitag der 13. (Übrigens: Dieser Freaky Friday war der 26. Oktober und 26 durch 2 gibt auch 13. So scarry...Uuhh)

Jack, der alte Bauerntölpel, hat sein ganzes Leben lang seine Mitmenschen zum Narren gehalten und schlussendlich einen Deal mit dem Teufel abbekommen: Keine lebenslange Verdammung, dies aber nur unter der Bedingung, dass die Seele so lange auf der Erdkruste umherirren muss, bis entweder die Amis an Überzuckerung gestorben oder alle Süssigkeitsvorräte von Wall Mart verscherbelt sind.

Bis jetzt ist es dem armen o’ Lantern nicht gelungen. Die Amis werden immer wie breiter (und wollen einfach nicht platzen!) und Wall Mart hat mit Ben & Jerry's zusammengespannt und produziert die süsse Schande immer weiter und weiter. Die Hölle war dem Jack noch nie so nahe.

Genau wie mir. Dieser Freitag hatte es in sich. Alles was schief gehen konnte ging schief. Und alles was gerade hätte werden können wurde schief. Das Abreisedatum und sogleich „Tor zur Schweiz“ rückte immer wie weiter in die Ferne. Ja, versank gerade zu im dichten Nebel, welcher bei uns seit einigen Tagen über der amerikanischen Einöde lag.

Nichts desto trotz. „Mir Schwyzer si eifach herti Gringe und kämpfe witer, ou wes Chatze haglet. (Wie Alpöhi damals zum kleinen Heidi vertrauensvoll gesprochen hatte: „E rächte Schwyzer mit Frou u Ching het Haar ufem Ranze u niid ufem Gring!“) Weiter geht’s mit Chrampfe. Die nächsten Tage sind mir nur noch schleierhaft vor meinem inneren Auge vorhanden. Quasi wie eine aussermenschliche Erfahrung zwischen dem langen Tunnel mit grellem Licht und zuwenig Schlaf. In meinem Kopf schallte aber immer die liebliche Stimme von Alpöhi und ermutigte mich zum Workaholic- Exzess.

So wurde Mittwoch, 31.10., Tag der Allerheiligen, Halloween und zugleich geplanter Abreisetag.

Nach langen Diskussionen, Tränen und „bear hugs“ erreichte ich doch noch, in exzellenter Hollywood- Manier, den Flughafen. (Den Flieger auch noch, dies aber ist doch eher nebensächlich.)

Am darauffolgenden Donnerstag kam ich in Zürich an. Müde vom Durcharbeiten und zerknittert von der langen Nacht im Flugzeug. (Wieso müssen immer dann die kleinen Amerikanerli (nein, das ist nichts zum Essen wie „Berliner“ oder „Baslerläggerli“ sondern nur ein Baby...) die ganze Nacht durchschreien, wenn ich die Oropax im Kulturbeutel vergessen habe?) Die lange Reise hat sich gelohnt. Ein tolles Wiedersehen hat es gegeben, keine Frage.

Doch die Reise geht bald weiter. Italien ruft mit sanftem Gesang! Es geht nach Brescia und zwar am 14.11.07. Dort gibt's wenigstens nur beschränkt Hamburger. I'm curious about it.