„Wird unsere Liebe für ewig halten?“
„Für immer.“
Luke schaut mit seinen stahlblauen Augen in Heidis himmelblaue. Sie hat ein makelloses Gesicht: Es scheint fast, als hätte sie Stunden bei einem Make-Up-Artist verbracht. und die rötlichen Haare wurden mit dezenten Natursträhnchen noch röter gemacht. (Gesamtkosten dieser Fassade wären in der Schweiz wohl über tausend Franken.) Ein luftig rotes Seidenkleid ziert ihren Körper, der von strengen Fitnesslektionen gezeichnet ist. Die Haare wehen mit dem Stöffchen in der sanften Meeresbrise um die Wette.
Luke ist ein Traumschwiegersohn, braunes Haar (mit blonden Méchées), ist höflich, beliebt, sportlich, intellektuell und alles funktioniert bei ihm immer auf Anhieb. Er sieht aber komischer weise älter aus, als es ein 16 jähriger Junge sollte. Heidi auch, aber das ist bei Mädchen noch schnell möglich.
„So lange der Mond seine Kreise dreht und die Sonne am kühlen Morgen in die Höhe steigt werde ich zu dir halten – was immer auch geschehen mag.“
„Ach, Luke...“, haucht Heidi vor sich hin.
Wie hypnotisiert schauen sich die beiden an. Heidi und Luke stehen barfuss im türkisfarbenen Meer, im Sternenhimmel, welcher im Hintergrund zu sehen ist, verglüht ungefähr zum sechzehnten Mal eine unglaublich grosse Sternschnuppe. Ein Synthesizer liefert die berührend langsame Musik mit eingespieltem Frauenchor. Langsam neigen sich die Gesichter zu einer Herzform, die Körper eng umschlungen. Und da ist sie, die erste Berührung beider Lippen. Der erste gemeinsame Kuss. Schnitt.
Nun können tausende von pubertierenden Mädchen und Jungs aufatmen. Die beiden Hauptprotagonisten der amerikanischen Soapopera „one tree hill“ haben nach 16 Folgen (passend zum Staffelfinale) doch noch zueinander gefunden. Eigentlich war das Ende dieser ersten „Season“ schon von Anfang an klar, nur mussten die beiden Teenagers einige Hürden nehmen, bevor sie einander verfallen konnten.
Inmitten dieser Serienfreaks, die jede Folge ihrer Scheinwelt sehen müssen, stecke ich. Ich bin einer dieser Anhänger der neuzeitlichen Kommerzkultur der Serienlandschaft. Einer dieser Pilgerer, der den Busseweg zum Exlibris immer wieder auf sich nimmt um eine neue Soapopera- DVD zu kaufen, sich danach im Zimmer einschliesst und dieses erst wieder verlassen wird wenn alle Folgen durchgeackert sind. So einer bin ich.
Zurzeit versüsst mir „one tree hill“ die langen Abende im leeren Hotelzimmer hier in Brescia. Nach dem Staffelfinale stellt sich für mich aber ein weiteres mal die Frage, warum ich mir das antue und warum Serien einen solchen Reiz auf mich ausüben. Ist es das Verdängen des „echten Lebens“? Suche ich in den Serien meinen Lebenssinn? Ich glaube nicht. In meinen Augen ist an meiner Seriensucht, wie es das Wort schon sagt, die Sucht schuld. Hat man einmal mit einer angefangen, kann man nicht mehr aufhören die Leiden der Darsteller mit zu verfolgen, bis ein gutes Ende der Serie eingetroffen ist. Und dies kommt meistens nur im Serienfinale vor, welches wegen Quotentiefs herbeigezogen wird. Und bis eine Soapopera abgesetzt wird, kann es Jahrzehnte dauern. (Zum Beispiel: „ER“ – Emergency Room läuft nun im zwölften Jahr.)
Zum Prinzip „Serie“
Zutaten: Eine Identifikationsfigur und ein Gegenpol; am besten einen richtig fiesen Bösewicht (das dramaturgische Element „Bellerophon gegen Chimera“)
Eine spezielle Umgebung und komplizierte Familienverhältnisse (Halbbruder, uneheliches Kind, Adoptivschwester plus eine Handvoll Scheidungen und Schwangerschaften)
Wichtig ist, dass jede Folge mit einem Auto- Verhütungs- Sport und/ oder Arbeitsunfall endet, ohne eine Auflösung der Situation abzuzeichnen. So bleibt die Spannung erhalten und die grosse Masse schaltet das nächste Mal wieder die Glotze ein. Ich auch, denn ich gehöre dazu.